22. Oktober ist Welttag des Stotterns. Warum ich das erwähne? Weil ich als Kind und Jugendliche selbst betroffen war. Buchstaben wie D, G und B am Satzanfang, gefolgt von einem Vokal, ließen mich stocken und pressen – mein Gesichtsausdruck war dementsprechend angestrengt. Ich kniff die Augen zusammen, und mein Mund versuchte verzweifelt, das Wort herauszupressen.

In der Schule hatte ich Bauchweh, wenn es Lesenoten gab und wir in alphabetischer Reihenfolge aufgerufen wurden. Mit einem W am Anfang des Nachnamens kann einem da schon etwas länger schlecht sein. Oft ging es dann doch relativ gut – einmal im Lesefluss, lief vieles. Stücke mit verteilten Rollen waren allerdings der Horror. Gerade hatte ich einen Satz geschafft, musste ich schon wieder anhalten – und starrte auf den nächsten Satzanfang.

Eine weitere Erinnerung aus meiner Jugendzeit spielte sich beim Fotografen ab. Meine Eltern hatten mich zum Bilderabholen geschickt (ja, damals wurden sie noch entwickelt). Die Verkäuferin fragte nach meinem Nachnamen – und nichts ging. Nach vielen erfolglosen „WWWWWWW“ stampfte ich mit dem Fuß auf und presste schließlich „Wannags“ hervor. Kein Wunder, dass man als stotternder Mensch schnell in die Kategorie „geistiges Defizit“ geschoben wird, wenn es noch nicht mal mit dem eigenen Nachnamen klappt.

Übrigens: Wenn ich richtig sauer war, konnte ich jedes Wort – egal mit welchen Konsonanten und Vokalen – unfallfrei aussprechen.

Nun kann man nicht ständig wütend durch die Welt laufen. So erfand ich beim Sprechen diverse Strategien. Eine davon war das Ausweichen auf alternative Begriffe. In der Muttersprache ging das problemlos, bei Fremdsprachen mit begrenztem Vokabular wurde es schon schwieriger. Ich liebe die englische Sprache, aber ich hasse es bis heute, dass alle Fragesätze mit „Do“ oder „Did“ anfangen. Ich meldete mich daher kaum im Fremdsprachenunterricht – saß aber meistens ganz vorne. Dort kann man hineinmurmeln, ohne die anderen zu stören, und die Lehrer merken trotzdem, dass man etwas weiß.

Irgendwann begann ich damit, vor jedes Wort ein N zu setzen. Ich erinnere mich an den entgeisterten Ausdruck unseres örtlichen Metzgers, als ich „Nhalbes nKilo nBratwurst nbitte“ bestellte. Ich ließ es also wieder bleiben.

Heute kann ich darüber locker schreiben. Damals war es schlimm. Lange Zeit vermied ich es, irgendwo anzurufen. Umso erstaunlicher, dass ich heute einen Beruf habe, in dem es ohne Sprechen nicht geht. Als Journalistin muss ich telefonieren, auf Termine gehen, Fragen stellen.

Ich weiß nicht, ob es die logopädischen Sprechübungen waren, die halfen – oder ob es sich einfach „verwachsen“ hat. Heute kommt es nur noch sehr selten vor, dass ich stottere – und oft ist es ein Hinweis darauf, dass irgendetwas nicht stimmt. Mittlerweile ist Stottern für mich ein Zeichen geworden, dass ich besser auf mich achten darf: weniger Stress, mehr Auszeiten, viel Schlaf, viel Bewegung.

Und immerhin befinde ich mich in bester Gesellschaft: Albert Einstein, Isaac Newton, König Georg VI., Marilyn Monroe, Bruce Willis und Rowan Atkinson – sie alle sollen gestottert haben.